Kreuztragung Christi

Deutschland, Augsburg oder Nürnberg, um 1520-30
Hochrelief, Silber, Email, Gold
Höhe: 6,2, Breite: 4,5 cm

Provenienz

Lord Francis Pelham Clinton Hope, 8. Herzog von Newcastle (1866–1941), London;
L. Harris, London;
Joseph Brummer, Auction Parke-Bernet, Teil I, 20.–23. April 1949, Nr. 705;
Melvin Goodman, Auktion Parke-Bernet, 24. April 1969;
Sammlung Paul W. Doll jr., New York, bis 2020.

In dem Goldemail-Relief ist die Kreuztragung Christi dargestellt. Eine Gruppe verlässt gerade die Stadt Jerusalem und begibt sich zum Berg Golgatha. Dort soll die Kreuzigung stattfinden. Christus drückt die Last des Kreuzes in die Knie. Seine Begleiter, darunter die Gottesmutter Maria und sein Lieblingsjünger Johannes, sind in violette, blaue, türkisfarbene und grüne Gewänder gekleidet.

Das Relief ist in der Technik des “Email en ronde bosse” gearbeitet. Hier arbeitete ein Goldschmied die Figuren aus Gold oder Silber heraus (getrieben oder gegossen) und überzog sie dann mit einer zu “Email”, geschmolzenen Glaspaste. Für die Gesichter und Körper verwendete er in der Regel einen weissopaken Schmelz. Die fertigen Figuren montierte er dann auf eine silberne oder goldene Platte, auf die zwischen Goldstegen ebenfalls farbiges, meist transluzid durchscheinendes Glas, den Hintergrund bildend, aufgeschmolzen wurde.

Die Farbpalette reicht bei unserem Relief von transparentem Blau und Grün im Bildhintergrund über ein opakes Weiss auf den Gesichtern zu Türkis, Kobalt, Lila und Grün bei den Gewändern. Diese kostbar schimmernden Farben verleihen dem kleinen Relief einen unvergleichbar kostbaren Charakter. Sogar das gelockte Haar der Figuren ist aus Goldspänen gearbeitet.

Die Kreuztragung ist eine Szene aus der Passion Christi. Die kleine Emailplakette war sicher Teil einer, mehrere Szenen umfassenden Serie. Tatsächlich werden im Metropolitan Museum of Art in New York vier vergleichbare Goldemailarbeiten mit Episoden der Passion aufbewahrt. Die Gesichter und Gewänder, der Hintergrund mit weissen, goldornamentierten Architekturen sowie Details (darunter die Pflanzen aus smaragdgrünen, kleinteiligen Blättern auf Golddraht im Vordergrund) sprechen für einen gemeinsamen Kontext. Eine weitere Emailtafel mit der Darstellung “Christus vor Pilatus” passt ebenfalls zu dieser Gruppe. Dieses Email wurde zu einem späteren Zeitpunkt auf eine Paxtafel angebracht und gelangte 1901 als Schenkung Adolph de Rothschilds in den Louvre nach Paris.




Illustre Provenienz

Ehe mit Zündstoff

Die kleine Emailarbeit hat eine illustre Provenienzgeschichte: Der erste bekannte Eigentümer, Lord Francis Pelham Clinton Hope und 8. Herzog von Newcastle (1866-1941), war eine schillernde Persönlichkeit des britischen Hochadels. Der Erbe eines großen Titels und Vermögens, zu dem auch der berühmte 45,5 Karat schwere, dunkelblaue „Hope-Diamant“ gehörte, war in erster Ehe mit dem amerikanischen Musical-Star May Johé verheiratet. Um den gesellschaftlichen Skandal zu verhindern, hatte angeblich Lord Francis‘ Familie 200.000 BP geboten. Die Verbindung währte nur acht Jahre: Nach dem nur durch neue Schulden abgewendeten Bankrott Lord Francis‘ lernte die schöne Amerikanerin am Ende einer Weltreise im Jahr 1901 Captain Bradlee Strong, angeblich einen der schönsten und beliebtesten Männer der US-Armee, kennen und verliebte sich Hals über Kopf. Lord Hope gelang die Rückkehr in die Bürgerlichkeit dank einer zweiten Ehe, May Johé dagegen ließ sich nach der schnellen Scheidung von Strong noch auf eine Reihe weiterer Beziehungen zu abenteuerlustigen, aber leider finanziell erfolglosen Männern ein. Die einstige Trägerin des „Hope-Diamanten“ starb 1942 verarmt in Boston.

Lord Henry Hope (noch nicht Herzog von Newcastle),1919

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Grossartiges Handwerk

Eine Kostbarkeit

Email ist eine handwerkliche Technik, die bis zur Industrialisierung vor allem in der Goldschmiedekunst eingesetzt wurde. Dabei stellt der Emailleur eine Glasmasse unter Zugabe von Farbpigmenten her, die bei hohen Temperaturen und kurzer Brenndauer mit einem Metallträger verschmolzen wird. Die erste bekannte Emailarbeit ist mehr als 3500 Jahre alt und wurde als Grabbeigabe in mykenischen Gräbern auf Zypern gefunden. Unser kleines Relief stammt aus dem frühen 16. Jahrhundert. Ein kunstvolles Drahtgeflecht diente als Unterkonstruktion, auf das die Glaspaste aufgetragen wurde. So entstand die Kreuztragung Christi als Miniaturszene. Sicher handelte es sich um die Auftragsarbeit eines vermögenden Adligen oder reichen Bürgers. Vermutlich gehörte es zu einer Reihe thematisch verwandter Reliefs, die die Außenseite einer Schatulle oder eines Reliquienschreins schmückten.

Darbringung Christi, byzantinisch, 12. Jh.
Kunstgewerbemuseum Berlin

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Maison Joseph Brummer

Connaisseur und Direktor

Ein weiterer bedeutender Besitzer der kleinen Email-Arbeit war der große Connaisseur Joseph Brummer (1883-1947). Der gebürtige Ungar gründete 1906 mit seinen Brüdern Ernest und Imre in Paris eine Galerie, die unter der Firmierung „Maison Joseph Brummer“ international tätig war. Der Schwerpunkt lag anfangs bei afrikanischer Kunst, bald handelte das Haus aber auch mit antiker, mittelalterlicher und zeitgenössischer Kunst. Nach dem 1. Weltkrieg emigrierte Joseph Brummer nach New York und eröffnete dort 1920 eine Dependance, die Brummer Gallery. Zu den prominenten Kunden gehörten große Sammler und Institutionen wie Henry Walters, William Randolph Hearst, Grenville Winthrop, das Metropolitan Museum und das Cloisters. Nach seinem Tod wurde die Galerie geschlossen und der umfangreiche Bestand in den Jahren 1948-1949 bei Amerikas marktführendem Auktionshaus Parke-Bernet versteigert.

Henri Rousseau: Joseph Brummer, 1909, National Gallery, London

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