Hl. Johannes Evangelist
Ulm
1485-1490
Lindenholz mit teilweise sichtbarer Originalfassung, die Lüsterung auf dem Gewand und das Inkarnat eine Zweitfassung des Barock
H: 37,5 cm, Breite: 13,8, cm, Tiefe: 11,3 cm
Provenienz
Laut Überlieferung aus Markdorf bei Überlingen;
Bildhauer Lösel, Leutkirch;
1920 von Julius Böhler in der Kunsthandlung Lämmle, München erworben;
1934 Julius Wilhelm Böhler, Luzern;
1968 Julius Harry Böhler, München;
1979 Julius Gustav Böhler, München;
2010 Florian und Christoph Eitle, Starnberg und München.
Johannes der Evangelist trägt über einem grünen Kleid einen roten, goldgesäumten Mantel. Sein Blick ist nach oben gewendet. In der linken Hand hält er den Kelch und segnet mit der rechten.
„Broschek ging beim Münchner Johannes von einem durch Gregor Erhart beeinflussten Gehilfen Michel aus und datierte um 1495. Schädler 1965 sprach von der „Ulmer Werkstatt des Michel und Gregor Erhart, um 1495″, was schon rein sachlich nicht korrekt ist. Überdies sind die Verbindungen zur Werkstatt Michels bei der Münchner Statuette eindeutig. Mit den für Gregor gesicherten Skulpturen aus Kaisheim, Augsburg, Paris, Donauwörth und Ehrenstein hat die Statuette nichts gemein. Indes bestehen enge Verbindungen zum 1493 geweihten Blaubeurer Retabel – der Johannes Ev. dort folgt demselben Darstellungstypus (Abb. 1) und den 1491 datierten Reliefs in Sigmaringen von der Hand eines Mitarbeiters, der stilistisch an die Blaubeurer Predellenbüsten erinnert. Die strähnigen Locken der Münchner Johannesstatuette finden sich beispielsweise in identischer Form beim rechten oberen Schergen der Sigmaringer Geißelung, wobei dessen Stirnlocken heute fehlen. Diese Figur zeigt auch im Gesichtskontur und der sehr prägnanten Kinnbildung große Ähnlichkeiten. Die nächsten Verbindungen besitzt jedoch der hl. Laurentius in Stuttgart – trotz seines deutlich größeren Maßstabes. Die Übereinstimmungen vor allem in der Durchbildung des Gesichtes sind so auffallend, dass an denselben Mitarbeiter der Erhart-Werkstatt gedacht werden kann. Man darf sich dabei nicht durch die abgearbeiteten Haare irritieren lassen, die die Wirkung der Stuttgarter Statue deutlich verändern.
Die bisherige Datierung um 1495 gründet auf der engen formalen Verwandtschaft der Münchner Figur mit dem Evangelisten des Blaubeurer Schreins. Doch lassen die Verbindungen nach Sigmaringen eine Entstehung der kleinen Statuette bereits vor 1491 plausibel erscheinen, vielleicht sogar noch in den späten 80er Jahren. Das Verhältnis kann also ebenso umgekehrt bewertet werden. Möglicherweise diente die vollplastische Kleinfigur als Modell für Blaubeuren und steht damit funkional in einer Reihe mit der Statuette des hl. Wolfgang aus Nürnberg und der kleinen Maria aus Wiener Privatbesitz.“